Gerade schrieb ich in den Blog das ich Urlaub mache. Dieses Wort wurde mir wenig später bei der Anmeldung zum Templestay gestrichen. Ab dem nächsten Tag sollte ein anderer Wind wehen. Um 4 Uhr morgens ist aufstehen angesagt, um pünktlich 4.30 Uhr zur Morgenandacht im Tempel auf dem Berg zu erscheinen. Anscheinend haben die Buddhisten noch nie etwas von Biorhythmus gehört? Obwohl sie ganz mit der Natur eins sein wollen. Meine Zeit ist es jedenfalls nicht Trotz des zeitigen Aufstehens bin ich voller Vorfreude und habe sieben Nächte im Voraus bezahlt. Dann bezog ich erst einmal mein Zimmer und probierte den Anzug an, bevor das Programm startet.
Tempelstay
Die Idee im Tempel zu wohnen entstand 2002 während der Fußballweltmeisterschaft in Südkorea als Übernachtungen knapp waren. Bei einem Aufenthalt bekommt man einen Einblick in den traditionellen koreanischen Buddhismus. Das Leben mit den Mönchen ermöglicht einem, den Yebul (zeremonieller Dienst mit Gesang), Chamseon (Zen Meditiation), Balwoo Gongyang (Gemeinschaftsessen) und Dahdoh (Teezeremonie) mitzuerleben. Tempelstay ist mittlerweile in sehr vielen Tempeln möglich. Neben den täglichen Ritualen wird meistens noch ein Programm angeboten wie z.B. die Herstellung von Lotusblumenlaternen, das Drucken von traditionellen Mustern oder alten Schriftzeichen mit Tinte sowie Volksspiele. Viele stressgeplagte Großstadtmenschen nutzen die Möglichkeit eines Tempelaufenthaltes, um am Wochenende neue Kraft für den Alltag zu schöpfen. Der Tempel Golgulsa ist Zentrum der traditionellen Meditationsweise Sunmudo, einer Zen Kampfkunst und bietet tägliches Training an.
Das Programm
- 4:00 Uhr Aufstehen
- 4:30 Uhr Morgengebet
- 5:00 Uhr Meditation im Sitzen und anschließend im Gehen
- 6:20 Uhr Frühstück
- 8:30 Uhr Sunmudo Training (Dehnung)
- 10:10 Uhr Teezeremonie
- 11:00 Uhr 108 Verbeugungen
- 11:00 Uhr Sunmudo Show der Master für Gäste
- 11:50 Uhr Mittagessen
- 14:00 Uhr Sunmudo Meditation, Bogenschießen oder Reiten
- 15:00 Uhr Montag bis Freitag Arbeitseinsatz im Tempel
- 15:30 Uhr Sunmudo Show der Master für Gäste
- 17:10 Uhr Abendessen
- 18:10 Uhr Erstgespräch für Neuankömmlinge
- 18:10 Uhr Abendgebet
- 19:00 Uhr Sunmudo Training (Kraft- + Techniktraining)
- 22:00 Uhr Nachtruhe
Am Sonntag findet 5:50 Uhr im Anschluss der Meditation das Gemeinschaftsessen „Balwoo Gongyang“ mit den Mönchen statt und im Anschluss die Teezeremonie. Danach steht die Zeit bis zum Abendessen zur freien Verfügung. Am Wochenende verliert jedoch der Kraft- und Ruheort seine Wirkung. Da kommen hunderte von Menschen aus der Stadt zum Tempel „gepilgert“, das heißt in Bussen und Autos gefahren, um die täglich angebotene Sunmudoshow zu sehen. Ich ziehe mich lieber um und gehe in der näheren Umgebung spazieren oder ziehe mich zurück in mein Zimmer, um endlich einmal Zeit für mich und zum Schreiben zu haben.
Das Tempelleben
Der Hall der großen Glocke schwingt durch die Nacht und durchdringt jeden Raum und meine Glieder. Ich rolle mich zur Seite und denke: Ich muss jetzt aufstehen! Schlaftrunken steige ich in meinen Tempelstay Anzug und ziehe mich warm darüber an. Die Nacht ist klar und kalt. Es geht den Berg hinauf zur Morgenandacht im Tempel. Vor der Tür warten die Hunde. Sie dürfen mit hinein und haben ihre eigene Gebetsmatte zum Liegen. Im Tempel lebte einst eine Hündin. Sie bekam vier Hundebabys und als sie starb, eine eigene Statue neben Buddha. Die Kinder der Hündin leben nun allesamt mit den Mönchen im Tempel.
Pünktlich 4.30 Uhr beginnt mit drei Verbeugungen das Morgengebet. Die Mönche singen in Begleitung eines Moktak (bedeutet Holzfisch, ist ein Idiophon und gehört zu den Schlitztrommeln) ihre morgendlichen Gebetslieder. Gleich danach findet die Meditation im Sitzen statt. Eine halbe Stunde soll jeder atmen und meditieren. Manchmal schlafen die Hunde dabei ein und stören durch ihr Schnarchen die Meditation. Am Ende reiben wir uns die müden Augen und klopfen unsere Arme und Beine wach. Denn jetzt geht es hinauf zur Pagode und über zur Meditation im Gehen. Drei Mal um die Pagode herum mit gefalteten Händen an der Brust. Dann im langsamen Gang den Berg hinab, die Hände vor dem Bauch, nichts denken und auf den Atem achten.
Unten angekommen setzen wir uns in den Essenraum auf den Fussboden und warten auf das Frühstück bzw. auf den ersten Mönch. In der Rangfolge dürfen zuerst die Mönche Essen nehmen, dann alle anderen. Man bedient sich selbst und was man sich alles auf den Teller aufgetan hat, muss aufgegessen werden!!! Nichts darf weggeworfen werden. Beim Essen ist die Tischordnung einzuhalten. Die ersten beiden Tische sind für die Mönche, die rechte Reihe für die Männer und die linke für die Frauen. Das Essen ist sehr einfach. Gegessen wird drei Mal täglich Reis mit mehr oder weniger scharfem gekochtem Gemüse und zu trinken gibt es kaltes oder heißes Wasser. Ich beeile mich, dass ich schnell wieder in mein Zimmer komme, damit ich noch ein wenig schlafen kann, bevor es weiter geht mit dem Sunmudo Morgentraining.
Gewohnt wird in einfachen Zimmern, was ein Regal und ein Kühlschrank beinhaltet. Geschlafen wird auf einer Matte auf dem Boden. Frauen und Männer dürfen nur getrennt schlafen. Ein Glück das Sarah bei der Anmeldung Paulchen nicht gesehen hat! So darf er bei mir mit auf der Matte liegen. Jedoch ist die Fußbodenheizung so heiß, dass ich mir vorkomme wie ein Hühnchen auf dem Grill. Nur wenden muss ich mich selber 😉
Kaum ist das morgendliche Nickerchen von einer guten Stunde rum, beginnt das Sunmudo Morgentraining. Jeder nimmt sich eine Matte und reiht sich in die Übenden ein. Trainiert wird barfuß, um einen besseren Stand zu haben. Morgens wird ausschließlich gedehnt. Nach anderthalb Stunde Dehnübungen bin ich endlich munter und schlendere zum Gebäude neben dem Tempeltor, weil dort gleich danach die Teezeremonie beginnt. Hier sitzt man im Lotussitz auf dem Boden. Wer diesen nicht aushält, kann die Position verändern, sollte aber dabei niemals die Füße nach vorne nehmen und auf andere richten. Bei einem Schälchen einheimischen Grüntee dürfen alle Fragen die einen bewegen an den Mönch gestellt werden. Am 11.11. gab es eine besondere Teezeremonie Ppeppero und „Pfannkuchen“ in Stäbchenform. Mönch Hyegak lebt seit 1990 im Tempel und praktiziert schon ca. 20 Jahre Yoga. Er reist oft herum und nimmt auch an internationalen Yoga Festivals teil. Nach der Teezeremonie ist es jedem frei gestellt, ob er die 108 vollen Verbeugungen, sich die Sunmudo Darbietung ansehen oder andere Aktivitäten mitmachen möchte. Ich teste jeden Tag etwas anderes aus. So komme ich in den Genuss der 108 vollen Verbeugungen, mit anschließendem dreitägigem Muskelkater!!! eines Ausfluges zum Tempel Bulguksa, der Fahrt an einen See von Gyeongju, Meditation am Strand von Gampo und einer Wanderung rund um die Tempelanlage, bevor es zum Mittagessen über geht.
Das Nachmittag Programm beginnt mit Sunmudo, wo abwechselnd Meditation im Sitzen, Bogenschießen oder auch Reiten angeboten werden. Danach dürfen wir – außer am Wochenende – bei den anfallenden Arbeiten im Tempel mit helfen. Letzte Woche war es die Erneuerung des Reispapiers an den Zimmertüren und diese Woche Laub fegen und abtransportieren entlang der Straße im Tempel. Nach dem Abendessen und einer kurzen Pause beginnt das Abendprogramm mit dem Abendgebet und anschließendem Sunmudo Abendtraining, wo Kraft, Technik und Ausdauer geübt werden. Um 22 Uhr ist Nachtruhe, um wieder frisch und munter zum Morgengebet erscheinen zu können 😉
Oft wird der Tempel mit seiner speziellen Trainingsmethode des Sunmudo von Universitäten und Schulen genutzt. Sie schicken „schwierige“ Studenten und Schüler, die sich nicht in die Gemeinschaft eingliedern wollen. Durch das Tempelleben sollen sie zu sich finden und ihr eigenes Verhalten überdenken. Ein guter Ansatzpunkt, dies würde sicherlich so manchen jungen Menschen auf seinem Bildungsweg helfen.
Wer am Tempelleben teilhaben möchte, sollte sich an einige Regeln halten:
Regel Nr. 1. Jeder im Tempel praktiziert Buddhismus zusammen. Daher behandeln Sie bitte alle Menschen mit Freundlichkeit und Respekt.
Regel Nr. 2. Jedes Lebewesen ist wertvoll in unserem Tempel. Daher behandeln Sie bitte alle Tiere und Natur mit Freundlichkeit und Respekt. Eines morgens sah ich eine riesengroße fette schwarze Spinne über mir an der Decke. Es hat mich zwar n`Menge Überwindung gekostet, aber ich habe sie mit einem Papierbogen hinaus befördert.
Regel Nr. 3. Unser Tempel ist ein reiner Ort, bitte hinterlasse keine negativen Spuren. Bitte beachten Sie alle Aspekte des Lebens und der Natur mit Liebe in deinem Herzen.
Jeder sollte sich nach dem Zeitplan richten und einhalten. Wer bei der Morgenandacht mit Abwesenheit glänzt, muss sich zur Strafe 3.000 mal verbeugen oder wer Papier in die Toilette wirft, muss sich zur Strafe 1.000 mal verbeugen. Überhaupt wird hier jegliche Zivilisation „abgelegt“. Von der Kleidung angefangen: Knie und Schultern sind bedeckt zu halten und niedrige Dekolletés und enge Kleidung zu vermeiden, geht es weiter über Radio, Fernsehen, Alkohol, Zigaretten und jegliche Art von tierischer Nahrung.
In Korea gibt es nur Geschlechter getrennte Tempel. Golgulsa ist einer für Männer. Aktuell leben hier vier Mönche und vier Hunde. Sie dienen ebenso in der Armee für zwei Jahre wie alle anderen und können währenddessen ihre Religion leben. Mönche sind Pilgerer und können sich ihren festen Tempel aussuchen. Der oberste Mönch entscheidet, ob er bleiben darf. Sie scheren sich einmal die Woche die Haare, als Zeichen der gänzlichen Hinwendung einem geweihtem Leben. Wer sich einmal dafür entschieden hat Mönch zu sein, lebt enthaltsam, darf keine Frau berühren und auch nicht heiraten. Im Tempel wird der Zen Buddhismus praktiziert.
Wann, wenn nicht jetzt?
Was hatte ich mir nicht alles für die Auszeit vorgenommen: täglich morgens Stretching und abends Qi Gong. Pah und was ist aus den guten Vorsätzen geworden? Beruhigt habe ich mich mit der Ausrede, dass ich ja täglich Fahrrad fahre 😉 Hier in Korea erinnerte ich mich an meine guten Vorsätze. Noch dazu im Ursprungsland wo all das gelehrt und praktiziert wird. Ich recherchierte nach Tempeln in der Nähe von Gyeongju, wurde fündig und war überglücklich, als die Zusage vom Tempel Golgulsa kam.
In der Turnhallen großen Tempelhalle der Sunmudo Schule reihe ich mich mit meiner Matte in den Kreis der Übenden ein. Nach der Aufwärmphase und kurzem Blick nach innen geht es über ins Stretching. Von der Haarwurzel bis zu den Zehenspitzen wird jede Faser des Körpers gedehnt.
Am Abend werden Gleichgewichtsübungen, Kraft- und Techniktraining praktiziert. Mit „Om“ die Arme heben, Beine abwechselnd nach hinten strecken und vorne weit nach oben, dann Drehungen, Schrittfolgen, grätschen, hüpfen, boxen. Es ist ein kraftvolles Training mit viel Körperspannung. Nach den ersten Einheiten mit Setups, Liegestützen und Brücke schlagen, fühle ich mich wie eine „Oberlusche“. Wann habe ich das letzte Mal im Kreis trainiert? Zu zweit geht es im Vierfüßlergang vorwärts, dann rückwärts, dann im Watschelgang dasselbe, Schubkarre, Rad schlagen, Handstand, Sprünge im Kreis herum. Geübt wird barfuß, um auf dem Holzfußboden einen festen Stand zu haben. Die Creme für überanspruchte Muskeln ist schnell verbraucht. Am Nachmittag wird abwechselnd meditiert oder mit Pfeil und Bogen geschossen. Dieser Sport ist Meditation und Körperspannung zugleich. Dank meiner Nichte Bianca weiß ich nun auch, dass wir mit mongolischen Reiterbögen Bogenschießen trainiert haben. Um diese Haltung zu üben, setzten wir uns auch einen Nachmittag aufs Pferd.
Wer noch nicht genug hat, kann nach der Teezeremonie 108 Verbeugungen mitmachen. Der Mönch gibt mit Schlägen seines Bambusstocks das Tempo vor: hinwerfen, gefaltete Hände und Stirn auf den Boden senken, zurück in die Senkrechte federn, mit gefalteten Händen verbeugen und wieder runter, das Ganze 108 Mal.
Nach den ersten Tagen spüre ich, dass sich eine Woche wie ein Tropfen auf dem heißen Stein anfühlt und verlängere meinen Aufenthalt.
Was ist Sunmudo?
Sunmudo bedeutet übersetzt Zen-Kampfkunst-Weg und geht auf eine jahrhundertealte, wehrhafte fernöstliche Mönchstradition zurück. Ihr Ziel ist es, nicht nur die Selbstverteidigung im klassischen Sinne zu lehren, sondern die dort vermittelten Kampfsporttechniken zu nutzen, damit der Praktizierende „dem tiefsten Kern seines Wesens“ und seiner „wahren inneren Natur“ näher kommen kann. Sunmudo kombiniert Zen Meditation, Yoga, Taiji und Qi Gong mit traditionellen koreanischen Kampfkünsten. Seine energievolle und dynamische Vorgehensweise fördert die Beweglichkeit und Flexibilität des Körpers, insbesondere der Gelenke. Das aufmerksame und regelmäßige Üben verbessert den Gleichgewichtssinn sowie die Harmonie zwischen Körper und Geist. Es kräftigt die Muskulatur und hilft Rücken- und Gelenkschmerzen vorzubeugen, bzw. diese zu lindern. Das Praktizieren von Sunmudo ist in jedem Alter möglich.
Die Sunmudo Master haben ganz offensichtlich Spaß am Training, machen so ihre Scherze dabei und strahlen Lebensfreude aus. Sie führen ein ganz normales Leben, wohnen außerhalb des Tempels, haben Familie und fahren gerne Mini und BMW oder auch Rennrad. Abendtraining
Fazit:
Gerne hätte ich vier Wochen Training mitgemacht. Zum einen weil sich der Körper durch tägliche vierstündige Fitness und das einfache Essen spürbar verändert, zum zweiten, weil es ab einem Monat günstiger wird und ich drittens vielleicht doch noch die „Bikinifigur“ für den Strand in Sri Lanka erreicht hätte 😉 Doch bevor hier der erste Schnee fällt, möchte ich weiter ziehen. Mit frisch gestähltem Körper geht es zur Fähre nach Busan, um auf die Insel Jeju überzusetzen.